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Rückfahrt von Persepolis zum Imam Khomeini Airport (2 Tage, ca. 950 km)
Die dreiwöchige Fahrradtour durch den Südwesten des Iran vermittelte mir den Eindruck eines zivilisierten und aufstrebenden Landes. Die Begegnungen mit den vielen jungen und oft überaus gebildeten Menschen in diesem Land waren erfrischend. Nach meiner Erfahrung ist es nicht gefährlicher als in Deutschland, allein mit dem Fahrrad durch den Iran zu reisen. (Hier wie dort sollte man immer einen kleinen Rest von gesunder Vorsicht im Hinterkopf behalten, und hier wie dort sind die Strecken auf den stark befahrenen Fernstraßen das Hauptrisiko.) Die oft großartige Landschaft, der Fleiß und die Offenheit der Menschen sowie der überall erkennbare, ehrlich erarbeitete ökonomische Aufschwung ist beeindruckend. Lediglich die Jahreszeit war für die Reise nicht ideal. Vor allem nachts wurde es bei dem hier herrschenden kontinentalen Klima meist bitter kalt. Besser geeignet für Radtouren in dieser Gegend wäre wahrscheinlich April/Mai und eventuell Mitte September bis Mitte November. Die derzeitigen politischen Unruhen im Iran haben eine andere Vorgeschichte und eine andere Ausprägung als in den arabischen Ländern. (Der Iran ist kein arabisches Land!) Tatsache ist, dass der iranische Staat keine Demokratie in unserem Sinne ist. So gesehen überrascht es, wie offen und kritisch über die politischen Zustände im eigenen Land gesprochen wird. Es gibt weder Parteien noch eine Opposition. Die regierende konservativ-islamische Clique ist vor über 30 Jahren durch eine sogenannte Revolution gegen das Schah-Regime an die Macht gekommen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Iran). Damals war das ein echter Fortschritt. Unter dem Schah waren verdächtige Personen oder deren Angehörige oft verschleppt und grausam ermordet worden. Für einen Verdacht reichte es dabei schon aus, dass z.B. ein Mitglied der Familie im Ausland studierte. Die Revolutionäre von damals sind immer noch an der Macht. Sie sind inzwischen alt geworden und etabliert, besetzen lukrative Posten mit den Angehörigen der eigenen politischen Klasse und dulden keine abweichenden Meinungen (gilt nicht nur bei dem gesetzl. vorgeschriebenen Kopftuch). In den rapide wachsenden Städten sind inzwischen viele gut ausgebildete junge Männer und Frauen herangewachsen, die nicht nur ihren Anteil am rapiden wirtschaftlichen Wachstum sondern auch mehr politische und gesellschaftliche Freiheit haben wollen. Andererseits gibt es in den Dörfern und Kleinstädten nicht nur die gut ausgebildeten jungen Leute sondern auch ältere und junge Menschen mit eher durchschnittlichem Bildungsstand, deren Weltbild überwiegend vom staatlich kontrollierten Fernsehen geprägt wird. Sie und ihre Eltern sind sich der zweifellos vorhandenen großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritte seit der Revolution vor 32 Jahren bewusst, sind stolz auf ihren kleinen selbst geschaffenen Wohlstand und haben Angst vor tiefgreifenden politischen Veränderungen. Bei den derzeitgen Demonstrationen in den großen Städten zeigt sich dieser Zwiespalt in der Gesellschaft: Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich Trupps junger Leute auf 125er Motorrädern auf. Sie sind angetan mit schwarzen Windjacken, bei denen auf dem Rücken "Police" steht. Sie brechen überraschend in die Demonstrationen ein und knüppeln alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt, egal ob es sich um Demonstranten oder Passanten handelt. Dabei gibts auch manchmal Tote. Diese Schlägertrupps sind offensichtlich gut organisiert und werden angeblich vom Staats-Regime bezahlt. Vier derartige "Hilfspolizisten" hielten neben mir, als ich (noch) ahnungslos auf dem Weg in die Innenstadt von Qom war, wo gerade eine Demonstration stattfand, und verlangten meine Papiere. Als ich zögerte (von vorn waren sie nicht als "Polizisten" erkennbar), fuhren sie einfach weiter. Mit der normalen Polizei hatten die bestimmt nichts zu tun. Die Beamten der normalen Polizei sind i.d.R. klar erkennbar uniformierte, abgeklärte Männer mittleren Alters, die meist auch einigermaßen Englisch sprechen. Sie verstehen zwar, sich ggf. durchzusetzen, sind aber normalerweise souverän, korrekt (keinesfalls bestechlich!) und bei Bedarf auch hilfsbereit. Ein Tourist, der nicht grob fahrlässig gegen das im Iran geltende Recht verstößt oder einen wirklich ernsthaften Anlass zu einem Verhör gibt (dabei soll es gelegentlich zu Folterungen kommen), hat von der normalen Polizei im Iran kaum etwas zu befürchten. Halten Sie sich sicherheitshalber von politischen Demonstrationen fern. (Die gibt es nach meiner Beobachtung immer nur in großen Städten auf einem zentralen Platz. Bei meiner Reise war es stets möglich, die Demonstrationen zu umgehen.) Vermeiden Sie jeglichen Anschein einer journalistischen Tätigkeit. Das ist Ausländern im Iran z.Zt. streng verboten! Vermeiden Sie zu Ihrem eigenen Schutz und zum Schutz Ihrer Gesprächspartner auch jegliche Aufzeichnung politikbezogener Kritik. Den Reisepass mit dem eingestempelten Visum sollte man stets mit sich führen, aber grundsätzlich nicht aus der Hand geben. Halten Sie für die Anmeldung an der Hotelrezeption und für Kontrollen durch fragwürdige Personen Fotokopien bereit! Wenn Sie bei Kontrollen Zweifel an der Echtheit von angeblichen Polizisten haben, sollten Sie darauf bestehen, gemeinsam die nächste Polizeistation aufzusuchen.
Die Aufenthaltserlaubnis für Touristen beträgt übrigens (ein gültiges Visum vorausgesetzt) 30 Tage. Sollte Ihnen das aus irgendeinem Grund nicht reichen, beantragen Sie rechtzeitg eine Verlängerung um weitere 30 Tage in der nächstgelegenen Provinzhauptstadt.
Noch etwas: Militanten Islamismus konnte ich in den drei Wochen im Iran kein einziges Mal beobachten. Die meisten Iraner sind gottgläubige Mohamedaner mit hohen ethischen Werten, aber keine religiösen Fanatiker. Allein reisende Frauen werden i.d.R. respektiert und geachtet. Radfahrende Frauen werden aber oft in übler Weise angemacht, besonders auf Strecken außerhalb von Ortschaften. VORSICHT, der Iran ist als Reiseland für allein reisende Radfahrerinnen m.E. nicht zu empfehlen! Anfeindungen als Christ habe ich niemals erlebt, auch nicht in den abseits gelegenen Dörfern. Toleranz, Rücksicht und Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Mitmenschen scheinen in der jungen, aufstrebenden iranischen Gesellschaft mehr verankert zu sein als in den europäischen Kernstaaten. Wenn es geht, werde ich den Iran in den nächsten Jahren gerne noch einmal besuchen. |
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