30.05.2001: Viele Grüße aus Riga
Der Anlauf ist geschafft. Es ging besser als erwartet. Die Schwielen am Sitzfleisch und an
den Händen überdeckten schon bald nach dem Start die
Nachwirkungen eines Krankenhausaufenthalts, die zunächst zur Startverschiebung
bis zum 17. Mai geführt hatten. Schwielen und Nachwirkungen sind inzwischen fast
schon wieder vergessen. So eine Radtour ist eine hervorragende Rekonvaleszenz.
Die Fahrt bis Prag ging durchwegs über gute Straßen, aber auch über viele
steile und lange Anstiege. Mein Versuch, den vorhandenen Flussläufen zu folgen,
half da wenig. Zunächst sind im bayerischen und im Böhmerwald mehrere Höhenzüge
zu überwinden, später sind die Täler vor Prag teilweise tief eingeschnitten und
die Straße lässt auch sonst kaum einen der angrenzenden Hügel aus. Der Verkehr
ist vom Beginn der neuen Autobahn kurz vor Waidhaus bis etwa 30 km vor Prag
gering (die neue Autobahn entlastet die Landstraße spürbar) und in den (manchmal
verwahrlosten) Städtchen an der Strecke gibts immer wieder kleine Wirtschaften
mit hervorragendem einheimischem Essen. Das renovierte Zentrum von Pilsen ist
nicht vom Tourismus überlaufen, aber durchaus einen Besuch wert. Prag selbst
quillt über vom Straßenverkehr und den vielen Touristen, hat aber eine prima
Atmosphäre. Von der Baufälligkeit der Gebäude, welche die Prager Altstadt am
Ende der kommunistischen Zeit vor 10 Jahren prägte, ist nichts mehr zu sehen.
Prag hat inzwischen gleichgezogen mit den meisten touristisch interessanten
europäischen Großstädten.
Von Prag nahm ich dann den Nachtzug nach Warschau und nun bin ich nur noch
wenige Tage hinter meinem Zeitplan (wichtig wegen dem Visum für Russland).
Warschau wirkt großstädtisch und modern, ziemlich kühl und irgendwie
postsozialistisch. Alles ist großflächig und dabei relativ sauber. Die kleine
Altstadt am Rande der großen Neustadt ist wie ein Museeum. Kaum Touristen,
höchstens ein paar Schulklassen.
Der weitere Weg zu den Masuren führte anfangs über total kaputtgefahrene
Hauptstraßen mit wahnsinnig viel Verkehr. Die Bezirksstraßen später waren da
wesentlich besser. Die Masuren selbst erinnern teilweise an Mittelfranken zwischen Fürth und
Neustadt/Aisch, flache Hügel mit Feldern und zerrissenen Waldstücken. Der einzig
wirklich interessante Ort ist Gizycko (liegt inmitten bewaldeter Hügel auf einem
Landrücken zwischen zwei großen Seen). Suwalki ist eine durchschnittliche
Kreisstadt, sonst aber uninteressant. Insgesamt ist alles noch relativ einfach
und erinnert an Deutschland (BRD) in den 60ern. Vieles wirkt außerdem etwas
schmuddelig. Von der im Reiseführer oft erwähnten deutschen Vergangenheit der
masurischen Kleinstädte ist nicht viel zu sehen. Überhaupt weckte der
Reiseführer (Marco Polo, Masurische Seen) Erwartungen, die nicht einmal
annähernd erfüllt werden können; ich habe den Eindruck, die Autoren haben alles
nur irgendwo abgeschrieben, waren aber selbst nie hier. Die (nicht sehr
zahlreichen) Hotels mit ihren meist älteren deutschen Nostalgietouristen haben
durchaus westdeutschen Standard, wirken aber wie kleine Gettos. Deutsche, die
erst nach 1945 geboren wurden und mit dieser Gegend nicht mehr durch
Heimatgefühle verbunden sind, finden hier nur eine Sache, die sie nicht
genausogut in Deutschland betreiben können: Die Möglichkeiten für
mehrtägige Kanu-Touren durch bewaldete stille Täler.
Weiter in Litauen und Letland sind die Leute offensichtlich noch ärmer. Die Hauptstraße über Kaunas nach Riga ist über weite Strecken neu und in sehr gutem Zustand (entspr. dt. Bundestraßen), die Bezirksstraßen sind noch schlecht und die Ortsverbindungsstraßen sind meistens ungeteert (wie in der BRD Mitte der 50er). Es ist alles sauberer als in Polen und erinnerte mich gelegentlich an die Situation, die ich mitte der Neunziger bei einer Radtour durch die neuen Bundesländer antraf. Essen kann man unterwegs - ähnlich wie in Polen - in sogenannten Bars. Diese entsprechen unseren Dorfgasthäusern. Die Landschaft ist flach, ähnlich wie in der norddeutschen Tiefebene. Alle Leute warnen vor dem vielen Diebstahl. Die Leute sind aber oft recht gastfreundlich, wenn auch zunächst etwas zurückhaltend. Bestohlen wurde ich übrigens niemals, obwohl ich als alleinreisender Radler Fahrrad und Gepäck nicht immer bewachen konnte.
Kaunas in Litauen wirkt wie ein großes, leeres Museum.
Riga, die Hauptstadt Letlands, erinnert stark an Prag, hat aber nur halb
soviel Touristen und ist mit dem Renovieren auch noch nicht ganz fertig. Riga
ist aber allemal eine Reise wert. Die restlichen Ansiedlungen auf dem Weg bis
kurz vor Riga waren nicht erwähnenswerte, z.T. sehr schäbige Kleinstädte.
Abschliessend möchte ich mich noch bei meiner Familie und meinen Freunden bedanken für die Unterstützung vor meiner Abreise (Landkarten, bisher gottseidank nicht benötigte Medikamente, Aufmunterung usw.). Ich bin inzwischen zuversichtlich, dass ich die Tour wie geplant werde durchziehen können und freue mich auf ein Wiedersehen nach Abschluss des Törns in zwei Monaten. So long...