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Von Van/Ostanatolien zur türkisch-iranischen Grenze (6 Tage, 392 km)


Hier passiert die Bahnlinie Istanbul - Teheran einen Vorort der Provinzhauptstadt Van (33.000 Ein­wohner, 1.727 müm). Direkt in Van gibt's nur einen Bus-Bahnhof. Den Bahnhof der Eisenbahn findet man beim 8 km entfernten Hafen der Eisen­bahn­fähre über den Van-See.

Meine Route und die Bahn benutzten teilweise das gleiche breite Tal. Für mich bedeutete das meist relativ gemäßigte Anstiege.

Erst kurz vor der iranischen Grenze bei Kapiköy gibts einen kleinen, kaum merklichen Pass, den die Bahnlinie abseits der Straße durch ein kleines, unwegsames Tal umgeht.

In Özalp schon wieder ein für ein Hochzeitspaar geschmücktes Auto. Im Herbst scheint hier die Hochsaison für Hochzeiten zu sein. Auf der Landstraße begegnen einem immer wieder ganze Kolonnen von 10 bis zwanzig hupenden PKW, mittendrin ein geschücktes Auto mit dem Hochzeits­paar. In der Beziehung sind sie hier schon sehr europäisch!

Wieder einmal eine Einladung zu einer Tasse Tee am Wegesrand. Eine sehr schöne Sitte ist das hier.

... nicht mehr weit zur iranischen Grenze ...

Grenzbahnhof auf der türkischen Seite beim nicht mehr existierenden Dorf Kapiköy. Es stellte sich heraus, dass der Grenzübergang auf der Straße hier dauerhaft gesperrt ist. (Hatte mich schon gewundert, dass es auf den letzten km fast keine Autos gab.) Nach einigem Suchen fand ich den Zugang zu dem ansonsten vollkommen eingezäunten Grenzbahnhof. Wartesaal, Fahrkartenverkauf, Zoll, Grenzpolizei, Security, Poststelle, mehrere Wohnblocks, ... Alles vorhanden, eine kleine Welt für sich. Ja, es gibt die Möglichkeit, mit dem nächsten Zug am kommenden Morgen mitsamt dem Fahrrad die Grenze zu passieren. Ich wartete also. Zwischendurch einige Gespräche mit einigen der hier stationierten Beamten. Die Gegend hier sei sehr gefärlich. Lauter PKK-Terroristen. Auf meinen Einwand, dass ich in den letzten Tagen eigenlich nur sehr viele befestigte Kontrollstellen des Türkischen Militärs, der türkischen Jandarmerie und gelegemtlich auch der Polizei sowie immer wieder hoch gerüstete Panzerspähwagen der Jandarmerie gesehen hatte, niemals aber auch nur eine Spur von irgendwelchen Terroranschlägen, und dass mir die Bevölkerung immer wieder versichert hatte, dass sie mit den Terroristen nichts zu tun und nur endlich ihren Frieden haben wollten, kam es auch kurz zu einer Diskussion. Als ich dabei den Vorschlag machte, doch eventuell endlich auch die einheimische Bevökerung in die Verwaltung der Ortschaften (einheimische Bürgermeister, Gemeinde-Beamte, Grundschullehrer, Ortspolizisten) einzubinden, stieß ich auf heftige Ablehnung. Alle kurdisch sprechenden Leute hier (das sind über 90 % der Bevölkerung) seien Terroristen, auch wenn sie sich nicht als solche zu erkennen geben. Und mit Terroristen kann man nicht verhandeln. Ende.

Der Gegenzug kam am Abend. Die Abfertigung der Reisenden dauerte zwei Stunden. Dann war ich wieder allein im Wartesaal. Ich hatte viel Zeit, die iranische Karte zu studieren. Hinter dem Grenz­über­gang kommen noch 80 km auf einer vermutlich ruhigen Nebenstraße. Dann aber gut 200 km auf einer großen Fernstraße und eine große Stadt, Orumiyeh (Urmia). Wer den Verkehr und den Straßenzustand auf den Hauptstraßen und in den Städten hier kennt, weiß, dass das für einen Radwanderer nicht immer angenehm ist. Es reifte in mir der Entschluss, 40 km zurück und dann noch einmal ca. 300 km durchs wunderschöne kurdische Gebirgsland zum nächsten Grenzübergang zu fahren. Dort bei Esendere, so hatten mir die Eisenbahner und zwei LKW-Fahrer versichert, sei der Grenzübertritt auf der Straße kein Problem.

Dem Gefühl nach hier links abzweigen. Erwies sich später als richtig. Diese Querverbindung zwischen der Straße zum lezten Grenzübergang Kapiköy und der Straße zum nächsten Übergang Esendere (bei Yüksekova) sollte nach Aussage eines jungen türkischen Offiziers eine 'gute' Straße sein. Der junge Offizier hat die Strecke entweder nicht gekannt oder er hatte lediglich gemeint, hier würde nicht geschossen. (Ich glaube auf mich, den Radfahrer, hätte z.Zt. ohnehin höchstens das türkische Militär oder die Jandarma geschossen.)

Tatsächlich war diese Straße nach dem ersten Drittel keine Straße mehr, ja nicht ein Mal ein Feldweg. Es handelte sich hier auf rund 30 km überwiegend um Fahrspuren in der ausgedörrten Landschaft entlang eines hochgelgenen eingetrockneten Salzsees oder in ausgetrockneten Bachbetten. Unterwegs begegneten mir an diesem Nachmittag nur ein Bauer mit seinem Traktor und zwei uralte Schrott-PKW. Aber kein einziges der in dieser Gegend sonst häufigen gepanzerten Militär- oder Polizeifahrzeuge. Ich spürte förmlich, wie die sonst ständig vorhandene unbewusste Anspannung langsam nachließ.

Alle Leute in den wenigen Dörfern an der Piste waren riesig nett und winkten fröhlich, und die Kinder bettelten hier nicht! Möge ihnen Gott/Allah diese friedliche Insel im spannungsgeladenen Osten der Türkei erhalten.

Trotzdem leben die Menschen hier nicht 'hinter dem Mond'. In einem der Dörfer mit den tradi­tio­nellen quaderförmigen Flachdach-Häusern aus Lehm­zie­geln, die sich kaum von der Landschaft ab­he­ben, wurde ich in ein solches Haus zum Tee ein­ge­la­den. Innen waren die Wände alle weiß ge­stri­chen und die Böden mit schönen Teppichen be­legt. Alles war angenehm hell und sauber. Im gro­ßen Hauptraum war an einer Wand ein kleines Sofa mit einem vergoldeten Tischchen mit Glas­platte. Das war für mich, den Gast, reserviert. Die Brüder, Onkels, Schwager und Freunde des Hausherrn saßen im Schneidersitz an den Wänden. Es war eine ruhige, gelassene und angenehme Atmos­phäh­re, kein lautes Durch­ein­ander­reden von allen Seiten. Die Argu­men­ta­tion der Männer zeigte, dass sie durchaus auf dem Lau­fen­den waren. Schließ­lich haben Satelliten­fernsehen und Mobil­telefon auch hier längst ihren Einzug gehalten. Es gibt zwar keine Rundfunk- und Fern­seh­sen­dun­gen in kurdischer Sprache (höchstens aus dem be­nach­bar­ten Iran, wo in den grenznahen Provinzen Türkisch und Kurdisch zweite Amtssprache sind). Aber Türkisch lernen hier alle ab der ersten Klasse Grundschule. (In der Schule gibt es keinen Unterricht in kurdischer Sprache und die Lehrer, die hierher versetzt werden, können meistens auch nur türkisch.) Die allgemeine Schulpflicht dauert inzwischen 8 Jahre und ca. 90 % aller Jugendlichen erfüllen ihre Schulpflicht angeblich auch. Viele besuchen anschließend das weiterführende Lyce. Nur Arbeitsplätze gibt es hier im zentralen Ost-Anatolien nicht genügend. Viele der Dorfbewohner arbeiten deshalb im Sommer in den Touristen-Hochburgen Alanya und Antalya an der türkischen Ägäis-Küste. Teilweise als Selbständige im eigenen Restaurant oder Geschäft.

Bei dieser Ruine der gewaltigen Burganlage Hosapkalesi in Güzelsu (allemal eine Besichtigung wert!) erreichte ich schließlich die Hauptstraße von der Provinzhauptstadt Van zur letzten Stadt in der Türkei, Yüksekova, und dem dahinter liegenden Grenzübergang Esendere.

Der bald folgende Güzeldere-Pass (2.730 müm) war nicht so schwer zu erklimmen, wie man annehmen könnte. Schließlich liegen schon die Täler hier alle deutlich über 2.000 müm.

Rasante Abfahrt hinter dem Pass.

Kurdengebiet (hier noch in der Türkei) mal so ...

...und mal so

Letztes Dorf vorm Grenzübergang Esendere. Auf­fällig auf den letzten 100 km vor der Grenze war nicht nur, dass hier noch mehr Jandarmerie und Militär anzutreffen war als schon vorher. Auch hier wieder zahlreiche Straßensperren, Maschinen­gewehr­nester hinter Sandsäcken und viele patrol­lie­rende Panzerspähwagen, bei denen die Luke im Dach über dem Beifahrersitz immer mit einem kampf­bereiten Maschinengewehr-Schützen besetzt ist. Und die vielen Kasernen des Militärs, der Jandarma und des türkischen Staats­sicher­heits­dienstes. Der Eindruck von Besatzern im Feindes­land drängt sich auf.

Mir gegenüber bekannten sich auch immer häufiger Leute spontan als Kurden. In den Städten vor dem Van-See hatte sie meistens rumgedruckst, wenn die Rede auf ihre Muttersprache kam. Hier im Osten ist das anders. Und immer wieder hört man auch die Aussage, man wolle endlich Frieden und wirkliche Demokratie. Die Lage ist also gespannt. Solange der türkische Staat sich hier aufführt wie eine Besatzungsmacht im Feindesland und solange nichts getan wird, um in der Bevölkerung Vertrauen zum türkischen Staat aufzubauen, bleibt die Lage explosiv...
Ich selbst kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sich der türkische Staat dazu wird durchringen können, den Kurden eine gewisse Autonomie einzuräumen, obwohl das bestimmt einen Teil der aktuellen Probleme lösen würde. Die Angst des türkischen Bevölkerungsteils (in der Gesamttürkei weniger als 50%), dass dann vielleicht auch die großen Gruppen der Armenier und der Tscherkessen eine ähnliche Autonomie fordern könnten, ist dafür vermutlich viel zu groß. Eine Aufnahme der Türkei in die EU als Vollmitglied bleibt deshalb wohl bis auf Weiters problematisch, auch wenn Wirtschaftskraft und Bildungsstand inzwischen dafür sprechen dürften.

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