Zurück zur übergeordneten Seite "Tour-Abschnitt Baskenland" | Letzte kleine Überarbeitung: 01.07.2005 |
Gleiderung der nachfolgenden Seite:
- Föderalistischer Aufbau des heutigen Spanien
- Der baskische Sprachraum
- Geschichtliches (zum besseren Verständniss)
- Verschiedene Vorstellungen der Einwohner
Nach dem Ende der Franco-Diktatur hat sich Spanien zu einem dezentralisierten, föderalistischen Staat mit ausgeprägter vertikaler Gewaltenteilung entwickelt. Der Staatsaufbau heute:
Gemeinden (Municipios): Die Gemeinden sind die älteste und kleinste territoriale Verwaltungseinheit. An ihrer Spitze steht der Bürgermeister (Alcalde), der alle vier Jahre gewählt wird.
Provinzen (Provincias): Sie entsprechen unseren Regierungsbezirken. Die Aufteilung Spaniens in Provinzen geht auf das 19. Jh. zurück. Damals war Spanien streng zentralistisch und "Autonome Gemeinschaften", die unseren Bundesländern entsprechen, gab es noch nicht. Die Einteilung in Provinzen wurde seinerzeit von den Ministern der Königin Isabella II. vorgenommen, um das große Land besser verwalten zu können. Einige Provinzen befinden sich auf den Inseln, die zum spanischen Staatsgebiet gehören (Balearen und Kanaren). Die beiden spanischen Enklaven an der Nordafrikanischen Küste, Ceuta und Melilla, werden gelegentlich auch als Provinzen bezeichnet. Sie gehören verwaltungsmäßig aber zu den Provinzen Cadiz bzw. Malaga und werden in Art.68 Abs.2 und Art.69 Abs.4 der spanischen Verfassung erkennbar nicht als Provinzen behandelt.
Autonome Gemeinschaften (Comunidades): Entsprechend den großen ethnischen Unterschieden in verschiedenen Landesteilen Spaniens wurden viele Provinzen parallel zur Entwicklung der neuen Verfassung vom Dez.1978 in sogen. autonomen Gemeinschaften gebündelt. Die spanische Verfassung kennt 17 autonome Gemeinschaften, denen sie für Angelegenheiten, die nur für die entsprechenden Regionen von Bedeutung sind, besondere Rechte einräumt (eigene Regierungen und gesetzgebende Parlamente, eigene Vertreter im Senat und damit ein Vorschlags- und Vetorecht für die Gesetzgebung im übergeordneten Cortes Generales). Die autonomen Gemeinschaften bestehen teilweise aus einer und teilweise aus mehreren Provinzen.
Gesamtstaatliche Organe:
Gemäß der am 29.Dez.1978 verabschiedeten und am 27.Aug.1992 geänderten Verfassung ist der spanische Staat eine parlamentarische Erbmonarchie mit dem König als Staatsoberhaupt; der König hat (ähnlich wie der Bundespräsident in Deutschland) die vom Cortes Generales verabschiedeten Gesetze und internationale Verträge zu unterzeichnen. Ein eigenes Vorschlagsrecht oder ein Vetorecht bei der Gesetzgebung hat er aber nicht.
- Oberstes gesetzgebendes Organ ist der Cortes Generales. Die Cortes besteht aus dem Abgeordnetenhaus (Congreso de los Diputados, Kongress) und dem Senat (Senado). Der Kongress hat mind. 300, max 400 Mitglieder, ist in allgemeiner Verhältniswahl alle vier Jahre neu zu wählen und entspricht unserem Bundestag. Der Senat besteht z.Zt. aus 208 Senatoren, die in den Provinzen direkt gewählt wurden und 51 Senatoren, die von den Parlamenten der Comunidades entsandt wurden. Auch die Senatoren werden alle vier Jahre neu gewählt bzw. neu entsandt. Der Senat hat ein Vorschlags-, Mitgestaltungs- und Vetorecht bei der Gesetzgebung des Kongresses und entspricht unserem Bundesrat. Bei den Gesetzen der Cortes unterscheidet die Verfassung "verfassungsausführende Gesetze", "allgemeine Gesetze" und sogenannte "Basisgesetze". Die Basisgesetze sind Ermächtigungsgesetze, die der Regierung weitreichende Rechte bei der Normierung der jeweiligen Bereiche einräumen. Mit Hilfe der verfassungsausführenden Gesetze werden oft Kompetenzen auf die gesetzgebenden Organe der autonomen Gemeinschaften, Provinzen oder Gemeinden übertragen, wenn es sich nicht um Angelegenheiten von überregionaler Bedeutung handelt.
- Die Regierung (Exekutivgewalt) wird aus dem Ministerpräsidenten, dem Vizepräsidenten und den Ministern gebildet und hat viel normierende Gestaltungsmöglichkeiten, aber nur sofern sie dazu jeweils im Rahmen eines Basisgesetzes ermächtigt wurde.
- Gerichtswesen: Oberste Instanz ist das Tribunal Supremo (das oberste Gericht). Es gilt das "Prinzip der Einheit der Gerichtsbarkeit" (also nicht das System mit verschiedenen Zügen wie bei uns). Es gibt daneben ein Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional), außerdem für den strikt militärischen Bereich eine Militärgerichtsbarkeit und für den Fall des Belagerungszustandes eine spezielle Gerichtsbarkeit (Art.117 Abs.5 der Verfassung). Die Richter sind unabhängig, unabsetzbar, eigenverantwortlich und allein dem Gesetz unterworfen.
Literaturquellen:
Beck-Texte im dtv, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5.Auflage 2000 (ISBN 3423055545 bei dtv, 3406458181 bei Beck-Verlag)
Munzinger-Archiv, Internationales Handbuch, Länder aktuell, Spanien ...Politik, Nachlieferung 22/02 zur Loseblattsammlung
Reader's Digest, Alle Länder unserer Erde, Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/München 2001
Michelin-Reiseführer Spanien, 2. Auflg 1999
Eigene Beobachtungen (Bautafeln, Wahlplakate, Tageszeitungen):
Die Ministerien und Parlamente der Comunidades haben (zumindest im nördlichen Spanien) anscheinend größere Bedeutung als die zentralen Staatsorgane.
Der baskische Sprachraum
In der Comunidad Baskenland (baskisch "Euskadi", span. "Pais Vasco") sprechen die Einheimischen nach Auskunft der Leute und nach eigenen Beobachtungen untereinander alle baskisch; es gibt auch baskische Lokalzeitungen und Rundfunkstationen, und in den Schulen ist baskisch Unterrichtssprache. In Navarra wird in der nördlichen Hälfte baskisch und in der südlichen Hälfte spanisch gesprochen. Nur in Pamplona, der Hauptstadt der Comunidad Navara, ist der Sprachgebrauch gemischt. In Frankreich gibt es kein rein baskisches Gebiet, nur ein gemischtsprachiges, das sich nicht mit irgendwelchen Verwaltungsbezirken deckt. (Autonome Einheiten wie die spanischen Comunidades oder die deutschen Bundesländer gibt es in Frankreich ohnehin nicht, nur der Zentralgewalt untergeordnete Regionen und Departements, die mit unseren Regierungsbezirken und Landkreisen vergleichbar sind.) Die Grenze des französischen Baskenlandes, in dem nur ein Teil der Bewohner baskisch spricht, verläuft von der Staatsgrenze zwischen Puerto de Larrau und C.-de-la-Piedra-S.-Martin über Tardets-Sorholus, Mauleon-Licharre, Sauveterre, Orthez und Dax zur Atlantikküste zwischen Hossegor und Vieux-Boucau. Die Orte auf der beschriebenen Linie gehören noch zum franz. Baskenland. (Die Leute, von denen ich die entspr. Informationen erhielt, erschienen mir glaubwürdig, kompetent und objektiv.)
Geschichtliches (zum besseren Verständniss)
Spuren des baskischen Volks lassen sich angeblich bis mehrere Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung in dem heutigen Sprachraum nachweisen. Entsprechende Hinweise soll es auch schon bei einzelnen römischen Dichtern der Antike geben. Baskisch ist die einzige noch lebende vor-indogermanische Sprache in West- und Mitteleuropa und gehört (wie z.B. Tschetschenisch oder das ausgestorbene Etruskisch) zur Familie der japhetischen Sprachen. Einen rein baskischen Staat mit einem baskischen Herrscher hat es aber niemals gegeben. (Vermutlich hängt das mit dem stark zerklüfteten Gebirgsland mit seinen engen Tälern zusammen, in dem die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen nirgends so groß waren, dass sie die wirtschaftliche Grundlage für eine größere Streitmacht eines ehrgeizigen Potentaten geboten hätten.) Es soll aber schon seit Urzeiten eine Art Rechtscodex gegeben haben, dem sich jeder unterwerfen musste, auch derjenige, dem man eine Führungsrolle zubilligte. Die Basken akzeptierten deshalb die Zugehörigkeit zu Navarra, wo ab 1234 ein französiches Königshaus regierte, das sich dem überlieferten Rechtscodex unterwarf. Das funktionierte anscheinend auch noch als Navarra 240 Jahre später unter der Oberhoheit der Königin von Kastillien, Isabella I., stand. Isabella war die Gemahlin des Thronerben von Aragonien, Ferdinand. Obwohl Isabella die Thronrechte bei ihrem Tod (1504) ihrer Tochter Johanna (der Wahnsinnigen) vererbte, übernahm Ferdinand die Regentschaft bis zur Volljährigkeit des gemeinsamen Enkels Karl, dem späteren spanischen König Karl V (span.König 1516-1556, röm.-dt.-Kaiser 1530-1556). Bis zur Regierungsübernahme Karls waren Kastillien und Aragon zur Keimzelle des zukünftigen Spanien vereinigt, dem 1512 auch die Südhälfte des Königreichs Navarra (das Gebiet der heutigen Comunidad Navarra) mit Waffengewalt einverleibt worden war. Das überlieferte baskische Rechtssystem blieb dabei auf der Strecke und die bis heute andauernde unterschwellige Distanzierung von Spanien, in dem nicht nur eine andere Sprache gesprochen sondern auch das überlieferte Rechtssystem nicht anerkannt wurde, war vorprogrammiert. Infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Spanien und Frankreich in den nächsten Jahrhunderten, in die sich auch England (mal auf der einen und mal auf der anderen Seite) einmischte, war das Baskenland ganz oder teilweise abwechselnd von Spanien, Frankreich oder England besetzt (siehe z.B. der englische Friedhof in Donestia/S.Sebastian). Man lernte dabei offenbar, sich mit der jeweiligen Besatzungsmacht zu arrangieren. Tragisch wurde die Entwicklung erst im 20. Jahrhundert.
1923 - 1930: Mit Billigung des Königs Alfons XIII. führt General de Rivera, der aus Jerez (=Stammsitz mehrerer andalusischer Großgrundbesitzer) stammt, die Regierung "mit diktatorischer Gebärde" (Zitat: Michelin-Reiseführer).
1931 - 1936: In den Gemeindewahlen im April 1931 erringen die Republikaner eine klare Mehrheit, ebenso bei verschiedenen Wahlen in der Folgezeit, auch bei der Wahl zu einer verfassungsgebenden Versammlung. Reformgesetze werden beschlossen, u.a. die Enteignung der Großgrundbesitzer mit Verteilung der Parzellen an Kleinbauern. Wegen Schwierigkeiten bei den Entschädigungszahlungen verschleppen sich die Reformen. Bei weiteren Wahlen gewinnt deshalb die Volksfront der Linksparteien die Oberhand und setzt die Agrarreform zügig und radikal durch. Die Lage im spanischen Kernland spitzt sich zu.
1936 - 1939: Unter der Leitung der Generäle Franco und Mola kommt es zu einem Putsch der rechtsgerichteten Monarchisten, die von den Großgrundbesitzern unterstützt werden. Es folgt ein Bürgerkrieg, in den sich auch ausländische Kräfte einmischen (u.a. bombadierten Hitlers Piloten für die Monarchisten das baskische Guernica, während gleichzeitig andere Deutsche in den Freiwilligen-Corps der Internationalen Brigaden auf Seiten der Republikaner kämpften). Das Baskenland stand im Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner.
1939 -1975: Nach der Niederlage der Republikaner beginnt die Franco-Diktatur. Parteien und Gewerkschaften werden verboten, eventuell vorhandene Autonomie regionaler Körperschaften abgeschafft und jegliche Opposition möglichst schon im Keim erstickt. Angeblich war auch der Gebrauch der baskischen Sprache verboten, mindestens aber konnte er wohl lebensgefährlich werden. Die Lage entspannte sich allmählich, aber immerhin kam es noch 1975, kurz vor Francos Tod, zur Hinrichtung von mehreren Oppositionellen.
ab 1975: Nach Francos Tod unterstützt König Juan Carlos als neues Staatsoberhaupt den Demokratisierungsprozess. Das Parteienverbot wird aufgehoben. 1977 kommt es zu den ersten demokratischen Wahlen und 1978 wird per Volksabstimmung eine neue Verfassung verabschiedet, in der dem Baskenland, Katalonien und Galicien ausdrücklich weitgehende Autonomie zugebilligt werden. Die baskische Nationalpartei, die jetzt wieder aus dem Untergrund auftauchen kann, arrangiert sich mit der veränderten Zentralgewalt und hilft kräftig mit bei der Realisierung der Autonomierechte. Nur eine kleine Gruppe von Radikalen ist gegen jegliche Zusammenarbeit mit dem Rest Spaniens, spaltet sich von der baskischen Nationalpartei ab und geht als ETA in den Untergrund, von wo aus sie mit brutalem Bombenterror nicht genau erkennbare Ziele verfolgt.
Verschiedene Vorstellungen der Einwohner
Fast alle träumen von einem eigenen, unabhängigen politischen Gebilde (eigener Staat? ...oder eine autonome Region im neuen Europa?). Die Geister scheiden sich auch bei der Frage, welches Gebiet eigentlich zu diesem Gebilde gehören soll. Soll es alle sieben Provinzen umfassen, von denen hier oft gesprochen wird? (Das sind: Vizcaya, Guipuzcoa und Alava in Euskadi, die sogenannte Provinz Navarra in der gleichnamigen Comunidad sowie Behenafarroa, Lapurdi und Zuberoa in Frankreich.) Oder soll man den Leuten folgen, die an das alte Königreich Navarra anknüpfen wollen? (Dieses bestand zunächst aus dem Gebiet der heutigen Comunidad Navarra, dem sogenannten Ober-Navarra, und dem nördlich der Pyreneen gelegenen Nieder-Navarra. Ober-Navarra fiel 1512 an Kastillien. Nieder-Navarra war noch einige Zeit selbständig. Heinrich von Navarra regierte hier, vereinigte es dann aber mit Frankreich, als er zum französischen König Heinrich IV. ernannt wurde.) Oder soll man sich auf das Gebiet der heutigen Comunidad Euskadi beschränken? Oder vielleicht auf das rein baskischsprachige Gebiet (und damit die restlichen gemischtsprachigen Gebiete in Frankreich endgültig aufgeben)? Die unterschiedlichsten Wunschvorstellungen geistern in den Köpfen der Leute herum, sind zur Zeit aber wohl allesamt unrealistisch. Es sieht so aus, als ob alle Beteiligten bis auf Weiteres mit dem momentanen Status am besten fahren. Gewaltakte sind deshalb nicht nur unmoralisch, sie führen auch rein materiell für alle Beteiligten zu keiner brauchbaren Lösung.