Santiago de Compostela bis Bilbao (05.-13. Juni 2002, 687 km) Altar in der Kathedrale von Santiago de Compostela Obwohl mich die gewaltige Kathedrale sehr beeindruckte, habe ich erst später richtig verstanden, warum das Innere der Kathedrale für so viele Pilger der krönende Abschluss ihres langen Wegs ist. Ich musste erst noch erleben, wie sie in vielen Wochen bei Wind, Regen und großer Hitze über Pässe, durch tiefe Täler, Wälder, historische Städte und weite Ebenen, teilweise auch entlang von verkehrsreichen Straßen hierher gewandert waren. Der beschwerliche, lange Weg erklärt wohl auch die Selbstsicherheit, Ruhe und Gelassenheit der Pilger, die man hier antrifft.
Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago Viele Pilger begegneten mir in den nächsten Tagen, als ich dem Camino de Compostella, dem Jakobsweg, in umgekehrter Richtung folgte. Es waren pro Tag schätzungsweise 300 Wanderer zu Fuß und 50 Fern-Radwanderer. Alle bewegten sich in Richtung Santiago, von wo aus sie meist mit dem Flugzeug die Heimreise antreten. Ich habe keinen einzigen getroffen, der wie ich in umgekehrter Richtung unterwegs war. Einer der Fußpilger (man sah ihm seine 73 Jahre nicht an) ist seit seinem Eintritt in den Ruhestand jetzt zum 9. Mal den Weg von Köln bis Santiago gewandert; normalerweise in 90 Tagen, wie er berichtete. Diesmal hatte er wegen Problemen mit den Knien allerdings 93 Tage gebraucht. Außerdem beklagte er (wie auch mancher andere Pilger) den zunehmenden Egoismus bei vielen, vor allem älteren Pilgern in den oft schon frühzeitig voll belegten Herbergen mit ihren Schlafsälen. Ein einfacher Spaziergang ist diese Walfahrt jedenfalls nicht.
Puerto el Poyo Der erste Pass auf dem Jakobsweg in umgekehrter Richtung war der 1337 m hohe Poyo-Pass (Puerto El Poyo) bei Cebreiro. Er wirkt nicht wild und zerklüftet sondern eher sanft und führt anfangs durch liebliche, waldreiche Täler, später über blühende Hänge. Eine gute 24er oder 27er Kettenschaltung (oder die von mir verwendete 14-Gang-Rohloff-Nabenschaltung) braucht man aber schon. Und für die langen Abfahrten mit dem schwer beladenen Rad bitte keine Rücktrittbremse sondern Cantilever-, V- oder Scheibenbremsen!
Ausblick von der Pass-Straße bei Cebreiro Oben beim Pass führt die Straße mehrere km auf etwa gleichbleibender Höhe und über längere Zeit kann man dieses erhebende Gefühl beim Blick in die tief unten liegenden Täler genießen.
Urige Kneipe im Dorf Cebreiro Dort, wo der Camino abseits der großen Autostraßen durch Dörfer oder kleine Städte führt, ist man voll auf den Strom der Pilger eingerichtet, meist in guter Qualität und ohne Nepp.
Viel Verkehr im Tal hinter dem Pass Auf der Hauptstraße neben der Autobahn hätte ich eigentlich auch zum nächsten Ziele, der Kleinstadt Astorga mit ihren zwei großen Kathedralen und den ordentlichen, auf Pilger eingestellten Hotels, gelangen können. Der Weg entlang der Autobahn wäre nur wenige km länger gewesen und ich hätte mir den Weg über den letzten Pass ersparen können. Aber die kleine Straße über den letzten Pass war um vieles schöner!
Aufstieg zum nächsten Pass zwischen Ponferrada und Astorga Nach einem weniger interessanten Teilstück zwischen Villafranca und Ponferrada gehts jetzt wieder hinauf zum nächsten, diesmal 1500 m hohen Manjarin-Pass. Auch hier würde ich mich in Anbetracht des geringen Autoverkehrs und der großartigen Landschaft wieder für diese Nebenstraße entscheiden.
Auf kleiner Nebenstraße über einen weiteren Pass Wieder bin ich ganz froh, das Tal mit seinem starken Verkehr verlassen zu haben. Mit einer guten Schaltung war bisher alles noch fahrbar, trotz fast 30 kg Gepäck. Und eine Stunde mehr Fahrzeit? Was soll's!
Heidekraut in vielen Farben An den Westhängen der Montes de Leon stauen sich hier oft die Wolken, die vom Atlantik her kommen. Das Heidekraut in den Farben weiß, orange und lila wird hier oben gut zwei Meter hoch.
Da oben irgenwo muss er sein, der nächste Pass Bis jetzt war die Strecke landschaftlich so schön - da kann einen das letzte Stück bis zum Pass auch nicht mehr schrecken.
In den Wolken ... Diesmal war's mit der Aussicht am Pass leider nichts. In der Höhe ging es mehrere km durch dichten Nebel (=Wolken). Und die letzten km hatten auch mehrere Steigungen mit über 20% parat. Aber weiter vorne im Nebel kann's eigentlich nur wieder bergab gehen.
Hinunter in die Wärme Auf der vor den Atlantikwinden geschützten Ostseite der Montes de Leon ging es schließlich in berauschender Fahrt auf guter Straße mit ganz wenig Verkehr hinunter in die trockene Wärme der großen Ebene von Leon.
Pilgerweg zwischen Hauptstraße und Autobahn 30 km voraus liegt in einer weiten, in der Hitze flimmernden Ebene die alte Pilgerstadt Leon. Leon ist Mittelpunkt der Region und hat heute neben seinen großen historischen Bauwerken auch eine große Anzahl von Gewerbebetrieben, Geschäftshäusern und auch mehrere Hochschulen. Entsprechend stark war der Verkehr auf den letzten 30 km vor der Stadt
Einkaufsstraße in Leon Viel Trubel, den man nach den vielen km Landschaft gar nicht mehr gewohnt ist, herrschte in Leon. Die Stadt ist trotzdem irgendwie angenehm und es gibt einige interessante Bauten zu sehen. Mindestens einen halben Tag, vielleicht auch eine Übernachtung, sollte man hier einplanen.
Weite Hochebene vor der Sierra del Brezo Nach weiteren 25 km nervenaufreibender Fahrt auf verkehrsreicher Hauptstraße durch flaches, langweiliges Land östlich von Leon entschloss ich mich, auf eine kleine Nebenstraße nach Norden abzubiegen, in Richtung der am Horizont sichtbaren Bergkette der Sierra del Brezo. Sehr interessant waren später am Rand des Gebirges einige überraschend saubere kleine Kohle-Bergwerke, in denen mit einfacher, aber hochmoderner Technik offensichtlich rationell und rentabel Steinkohle gefördert wird. Meine Entscheidung den derzeit von fast allen Pilgern genutzten Zweig des Jakobsweges über Burgos zu verlassen, war, wie sich in den nächsten Tagen zeigte, gut. Überhaupt sollten Pilger mit dem Fahrrad überlegen, ob sie zwischen Pamplona und Astorga unbedingt immer dem heute üblichen Weg des Camino folgen müssen (es gab früher nachweislich mehrere Varianten des Jakobswegs), denn im Gegensatz zu den Fußwanderern sind Radfahrer auf die hier oft sehr verkehrsreichen Straßen angewiesen und können nur selten auf die Fußpfade ausweichen, die hier neben den Hauptstraßen existieren.
kl.Hotel in Arroyal In der Nähe des Puerto de Pozazal im Gebirge nördlich von Aguilar fand ich wieder eine kleine, landschaftlich sehr schönen Nebenstraße zu dem großen Stausee am Oberlauf des Ebro. Auf der Suche nach einem Restaurant stieß ich auf ein kleines, neues und recht gutes Hotel in Arroyal. Es gehört einem ehemaligen Radprofi, der u.A. sieben Mal die Tour de France in der Once-Mannschaft mitgefahren ist. Er hat sich inzwischen zu einem hervorragenden Koch und einem umsichtigen Gastgeber entwickelt. Die Zimmer sind für spanische Verhältnisse außergewöhnlich gut und dabei durchaus preiswert.
Großer Stausee im Gebirge am Oberlauf des Ebro Der Stausee Embalse del Ebro liegt mitten in einer weiten, offenen Gebirgslandschaft.
Er ist knapp 30 km lang und bis zu 5 km breit. Klare Gebirgsluft, blitzsaubere Dörfer
mit preiswerten Cafe-Bars und gelegentlich auch Restaurants und Unterkünfte, überall Angelmöglichkeiten, klares Wasser... (Der gepflegte Campingplatz in Arenas öffnet allerdings erst Mitte Juni.)
Sattgrüne Täler auf dem Weg hinunter nach Bilbao Zwei Dinge hatte ich mir vorgenommen: Noch ein Stück Atlantikküste und wenigstens einen der Pyrenäenpässe. Deshalb ging es jetzt zunächst aus der Kette der Sierras nordwärts hinunter nach Bilbao. Etwa 40 km vor Bilbao änderte sich das Landschaftsbild grundlegend. Alles ist hier sattgrün: Der dichte Nadelwald und die Wiesen in den Tälern. Auch die Menschen sind hier merklich anders und sprechen untereinander eine ganz eigene Sprache, die mit den romanischen Sprachen absolut nichts gemeinsam hat. Aber das ist eine andere Sache. (Mehr dazu im nächsten Abschnitt.)
Bilbao, bedeutende Metropole in Spaniens Norden Die Fahrt hinein nach Bilbao war wieder einmal, wie fast immer bei großen Industriestädten, für den Radwanderer unschön und stressig. Durch stickige Luft vorbei an unangenehm riechenden Chemiewerken kommt man zunächst in ein Gebiet mit großen schmutzigen Hafenanlagen und Werften. Nur die hohen Berge auf beiden Seiten des langen Tals hinunter zum Fjörd von Bilbao und meine Neugier hielten mich davon ab, die Stadt weiträumig zu umfahren. Bilbao ist eine alte Hafenstadt, ursprünglich nur am Ende eines langen Fjörds gelegen, an dem eine tief eingeschnittene Schlucht mit einem wild rauschenden Flüsschen in den Fjörd mündet. Bilbao ist heute eine bedeutende Handels- und Verwaltungsmetropole und Hauptstadt der baskischen Provinz Bizkaia. Wie die meisten spanischen Provinzen hat auch die Provinz Bilbao viel Autonomie, eigene Ministerien, eine Universität usw. Das Zentrum der Hauptstadt Bilbao besteht aus einem großen neuen Teil mit breiten Straßen und Plätzen mit Grünanlagen und großen Brunnen. Hier findet man Einkaufszentren, Verwaltungshochhäusern von internationalen Banken und Konzernen sowie das berühmte Guggenheim-Museum. Dort, wo die Schlucht mit dem kleinen Fluss mündet, liegt die beeindruckenden Altstadt mit engen Gassen, vielen Kirchen, großen alten Handelshäusern und dem Kneipenviertel. Früher sind die (damals noch kleinen) Handelsschiffe bei Flut wohl bis hierhin gekommen. Heute dominiert hier der Tourismus. Der neue Hafen mit den Industrieanlagen liegt weiter draußen im Fjörd. Auch an den Berghängen links und rechts der Stadt und oberhalb der Schlucht sind längst moderne Wohn- und Gewerbegebiete entstanden. Bilbao ist kein Badeort, aber einen Besuch ist diese Stadt allemal wert.
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